Im Jahr 2014 beschlossen Hannes und ich, uns gemeinsam auf den Weg zu machen. Das Projekt heißt Europäischer Fernwanderweg 1, im Folgenden E1 genannt. Die ganze Strecke reicht vom Nordkap bis nach Sizilien. Wir werden Deutschland durchwandern, und zwar von Flensburg bis nach Konstanz.
Da wir weder Privatiers noch in Rente sind, werden wir die Strecke in Etappen aufteilen, je nach Lust und Zeit in längere oder kürzere. Was wir bei diesen gemeinsamen Touren erleben, in Städten und Dörfern, in der Natur, mit anderen Menschen und mit uns selbst, darüber werden wir in diesem Blog berichten. Das hilft uns, das Erlebte besser in Erinnerung zu halten. Vielleicht macht es auch andern Spaß, darüber zu lesen. Und wer weiß, vielleicht lässt sich der eine oder die andere anstecken, selbst auf Wanderschaft zu gehen.
Dies wird kein Reiseführer und keine Anleitung zur Selbstfindung auf dem Weg durch Deutschland. Ich werde einfach erzählen, wie es uns ergangen ist, was wir gesehen haben und was uns besonders im Gedächtnis geblieben ist. Damit es aber einen roten Faden gibt, an dem man sich auf diesem langen Weg festhalten kann, werde ich die Berichte in geografischer Reihe anordnen, und zwar von Norden nach Süden. Wir selbst sind nämlich nicht konsequent in dieser Reihenfolge unterwegs gewesen, sondern haben zwischendurch kürzere Etappen dazwischen geschoben, die von uns aus günstiger zu erreichen waren. Als Orientierungshilfe und für potentielle Mit- oder Nachwanderer stelle ich jeder Wanderetappe die Tagesstrecken mit Kilometerangaben und Übernachtungen voran. Das Datum im Blog ist der tatsächliche Wandertag.
Und los geht's!
Konstanzer Hafen von der Terrasse des Hotel Konzil |
Cappuccino am See oder der Probestart
Es ist Frühsommer 2014. Schon am Konstanzer Bahnhof laden Plakate zur Sonderausstellung „600 Jahre Konstanzer Konzil“. Wir hätten beide Lust auf einen kurzen Gang durch die Ausstellung, denn ehrlich gesagt, kriegen wir auch gemeinsam nicht mehr alle Ereignisse um dieses mittelalterliche Großevent herum zusammen und in die richtige Reihenfolge. Nur dass es um die Wahl eines neuen Papstes ging, sehr viele der Kirchenoberen machtgeil und korrupt waren und der aufrichtige Johannes Hus reingelegt und verbrannt wurde, in Konstanz, auf einem Marktplatz. Soviel ungefähr.
Den Ausstellungsbesuch werden wir später im Jahr nachholen.
Jetzt trinken wir die Kaffeetassen aus und schultern unter den anerkennenden
Blicken der Bedienungen unsere großen Rucksäcke. Hannes hat einen nagelneuen
knallroten Deuter und ist ständig mit Herumnesteln und Justieren der diversen
Riemen beschäftigt. Vor uns liegen 18 Kilometer Fußmarsch von Konstanz nach
Langenrain - unsere erste gemeinsame Etappe auf dem Europäischen Fernwanderweg
1. Dieser Weg reicht eigentlich vom Nordkap nach Sizilien. Eine Gedenktafel im
Konstanzer Hafen erinnert heute noch an die Einrichtung dieses Weges Anfang der
70er Jahre mit der bestechenden Idee, die Freude am Wandern mit dem Ideal der
Völkerverständigung zu verbinden. Uns geht es heute ehrlich gesagt weniger um
solche hohen Ziele und wir haben uns auch nicht ganz so viel vorgenommen. Unser
Projekt lautet: Einmal zu Fuß durch Deutschland. Zu zweit. Von Flensburg bis an
den Bodensee.
Leistung steht für uns auch nicht im Vordergrund. Und, da
wir beide berufstätig und nicht in der Position sind, mal eben ein paar Wochen
Auszeit am Stück zu nehmen, geht es uns auch nicht um Selbstfindung oder gar Grenzerfahrungen.
Wir wollen auf diesem Weg entdecken, was wir gar nicht gesucht haben. Und
kennen lernen, was uns bisher noch fremd war. Auch uns gegenseitig. Denn so
richtig lang sind wir beide noch kein Paar und wenn man den Therapeuten glauben
darf, dann lernen Pärchen sich erst richtig beim gemeinsamen Urlaub kennen. Das
sei wohl so eine Art Feuerprobe für Neuverliebte. So nach dem Motto: Wer das
durchsteht, dem graust‘s auch später vor nix mehr. Aber dazu später. Heute
stehen wir erst mal am Konstanzer Bodenseeufer und suchen nach einem Wegweiser
nach Langenrain.
Die gelben Wegweiser nach Langenrain und anderen Zielen rund
um den See haben wir nach kurzem Umherbummeln am Hafen rasch entdeckt. Davor
lagern einige offensichtlich nicht sesshafte Männer mit ihren Hunden und zetern
lautstark, dass die Touristen hier ständig weniger Geld rausrücken würden. Ein
langer Typ mit Bart und Hut weiß auch weshalb: „Die vielen ausländischen
Bettler machen den deutschen Obdachlosen das ganze Geschäft kaputt!“ Na, denn.
Auf geht’s, über den Rhein.
Lebensgefährte im Stresstest
Ach, ja, fast vergessen: Wir wandern dieses erste Mal von Süden
nach Norden – das heißt, nach der „klassischen“ ersten Tourenbeschreibung von
Arthur Krause [1]
eigentlich in die falsche Richtung. Das ist uns auch klar. Wir wollten jedoch
vor der endgültigen Entscheidung, den E1 als Projekt gemeinsam in Angriff zu nehmen,
vorab unsere gemeinsame Wanderfähigkeit als Paar testen. Stundenlanges
gemeinsames Laufen durch Nadelwälder, entlang von Maisfeldern und auf öden
Asphaltstrecken stellt bekanntlich andere Herausforderungen an die
Paarbeziehung, als gemeinsame Kino- oder Theaterbesuche oder fröhliche Feste im
Kreise der Familien. Blasen, langanhaltende Regenschauer und falsche
Abkürzungen sowieso. Und wie strapazierfähig mein neuer Lebensgefährte im
Ernstfall ist, war noch nicht ausgereizt. So übermäßig sportlich kam er mir bei
aller Zuneigung auch beim zweiten Hinschauen nicht vor.
Ich, Hiltrud, war
bereits zwei Jahre zuvor allein gestartet. Wie es sich gehört mit einer Fahrt
im Nachtzug von Tübingen nach Flensburg und von da in vorgeschriebener
Nord-Süd-Richtung in zehn Etappen bis in die Eulenspiegelstadt Mölln. Noch ohne
Hannes, den gab es damals in meinem Leben noch nicht. Als Single unterwegs sammelte
ich bereits einschlägige Erfahrungen: Zum Beispiel, was es mit einem „macht“,
wenn man sich nach stundenlanger „Asphalthatscherei“ kurz vor dem Tagesziel
wähnt und dann feststellt, dass man einen völlig unnötigen Bogen gelaufen ist.
Und dass die angepeilte Ortschaft nicht die nächste, sondern erst die
übernächste ist. Oder wenn in der größten Mittagshitze zwar ein einladendes
Gasthaus am Weg steht, diese einzige Kneipe am Ort aber erst ab Fünf Uhr abends
wieder öffnet.
Schöne Aussicht im Rücken
Kurzum, wir hielten es für ratsam, mit einer kürzeren
Wegstrecke das Unterfangen erstmal vorsichtig zu testen. Ein Pilotprojekt
sozusagen. Ohne allzu langen Anfahrtsweg und mit maximal 3 Übernachtungen. Nach
ausgiebigen Studium von Landkarten, Internetseiten [2]
und Bahnverbindungen entschieden wir uns für die letzten 4 Etappen von Blumberg
bis nach Konstanz. So konnten wir mit dem Auto in einer knappen Stunde von
Hannes‘ Wohnort nach Blumberg fahren, dort das Auto bequem am Bahnhof stehen
lassen und den Zug direkt ohne Umsteigen nach Konstanz nehmen. Den Weg würden
wir wie gesagt in umgekehrter Richtung machen, da wir in unserer Unerfahrenheit
annahmen, dies sei schließlich egal. Was es nicht ist, denn es spielt es für
die Bemessung eines gut machbaren Streckenpensums sehr wohl eine Rolle, in
welcher Abfolge Auf- und Abstiege hintereinander kommen. So kam es unter
anderem dazu, dass wir an den besonders langen Etappen, nicht wie von der
Streckenplanung vorgesehen, viele Stunden bergab, sondern bergauf wanderten. Außerdem
hatten wir die meiste Zeit den wunderbaren Blick auf den Bodensee und später
die Hegauvulkane - im Rücken. Unsere erste Lektion hatten wir bald gelernt: Es
empfiehlt sich, die Tipps erfahrener Wanderer, die die Strecke bereits gemacht
haben, zumindest ernsthaft anzuhören und wenn möglich zu befolgen.
Nichts desto trotz kamen wir unbeschadet nach vier Tagen am
Bahnhof Blumberg an, hatten vier anstrengende erste Wandertage mit vielen
unvergessenen Erlebnissen hinter uns und waren sicher: Wir machen weiter.